Sehr geehrter Herr Appel,
Mit großer Verwunderung lese ich Ihren grotesken Beitrag „Kalt erwischt“ in der FAZ. Man könnte den Eindruck gewinnen, Sie hätten sich bei einem Autotest wirklich unfassbar dusselig angestellt (wäre ja nicht das erste Mal, unvergessen ist Ihr Test eines Tesla Model 3, als Sie ganz plump eine Ladestation mit dem falschen Stecker angefahren haben). Andererseits kann eigentlich niemand so unfähig sein, deshalb könnte es auch bewusstes Verbreiten alternativer Fakten gewesen sein. Natürlich liegt es mir völlig fern, Ihnen diese beiden Optionen zu unterstellen und ich bin überzeugt, dass Sie eine bessere Erklärung dafür haben.
Gestatten Sie mir, zunächst alle fragwürdigen Passagen aufzulisten und zu kommentieren:
Welches Modell?
Bemerkenswerterweise kommt der Bericht ohne eine Angabe über das getestete Modell aus, das darf man sich anhand der technischen Daten zusammenraten. Die sind aber so dermaßen unkonkret, dass Sie alles Mögliche gefahren haben könnten. Ich würde auf einen Nissan Leaf tippen, es könnte aber auch was ganz Anderes sein. Von der krassen Ladezeit passt eigentlich nur der – das würde jede weitere Argumentation sowieso hinfällig machen, weil bekannt ist, dass Nissan sich hier gegen eine Akkutemperierung entschieden hat. In diesem Fall lägen Sie für das eine Modell richtig mit ihren Einschätzungen, die Verallgemeinerungen und Rückschlüsse auf alle Elektrofahrzeuge blieben aber weiterhin unsinnig.
Welche Kilometer?
Ohne Modellangabe weiß der Leser auch nicht, was genau die Reichweitenanzeige angibt, das variiert nämlich und bei manchen OEMs kann man das sogar individuell einstellen. Wenn das 120 NEFZ-Normkilometer sind, hätten Sie die auch im Sommer niemals erreichen können.
Eine bessere Kenngröße wäre der Verbrauch in kWh/ 100 km, im Gegensatz zur Kilometeranzeige kann man den nämlich objektiv vergleichen.
Welche Ladestation?
An einem nicht näher spezifizierten Schnelllader sollen 38 kW in der Spitze geflossen sein. An was für einer Schnellladestation? Bei welchem Akkustand? Vor wenigen Tagen habe ich eine defekte Allego-Säule erwischt, die nur 6 kW abgegeben hat, obwohl mein Testfahrzeug 110 kW schaffen könnte. Ist da jetzt der Autobauer schuld, weil er im Katalog Fantasiewerte angegeben hat, oder der Ladesäulenbetreiber, na?
Falls Sie vollgeladen losgefahren sind und bereits nach 40 Kilometern geladen haben, ist der Akku a) noch fast voll und b) arschkalt. Dann wäre die niedrige Leistung nicht weiter verwunderlich, aber eben auch null aussagekräftig.
Dazu passen aber die anderthalb Stunden Ladezeit nicht – die braucht kein aktuelles Fahrzeug, um die Energie für 40 Kilometer nachzuladen.
Äpfel und Birnen
Ein großer Fehler ist das Hochrechnen des Kurzstreckenverbrauchs eines untemperierten Fahrzeugs auf eine längere Strecke, der Fehler knallt gleich doppelt rein: Einerseits ist der Verbrauch im Winter bei Elektroautos auf den ersten Kilometern besonders hoch, weil ja erstmal der Innenraum auf Temperatur gebracht werden muss. Dieses Hochheizen von vier auf 22 Grad kostet viel mehr Energie, als die Temperatur danach auf diesem Level zu halten. Diesen Anfangsverbrauch hochrechnen ist schon allein deswegen völliger Unfug, aber es kommt noch was dazu: 40 Kilometer reichen als Referenzstrecke für den Verbrauch nur dann, wenn Sie 20 km in die eine und 20 km in die andere Richtung gefahren wären. Bei 40 km oneway könnten Sie ja auch die ganze Zeit bergauf gefahren sein.
Ich selbst habe das in den letzten Tagen mit einem Mercedes-Benz EQV besonders krass erlebt: Der braucht bergauf richtig viel Strom und das anfängliche Aufheizen des großen Innenraums benötigt sehr viel Energie. Da steht der Zähler beim Einschalten bei 99,9 kWh/ 100 km und geht erst langsam runter – nach 40 Kilometern käme ich da auch auf komische Werte. Nach 600 Kilometern bin ich aber jetzt sehr stabil bei 35 kWh/ 100 km, also ein Bruchteil der anfänglichen 99,9 kWh.
Noch mehr Äpfel und Birnen
Der von Ihnen erwähnte Joko Winterscheidt hatte einen Audi e-tron, als er sich über die kurze Toilettenpause freute. Er hat nicht wie Sie mit 38, sondern mit 140 kW geladen (sieht man auf Instagram). Logisch, dass 3,6x so viel Ladeleistung etwas mehr Hektik aufkommt. Immerhin liefern Sie mit diesem Verweis gleich das Gegenargument zu Ihrer falschen Behauptung, dass Elektroautos nie so flink laden würden, wie im Prospekt angegeben.
Eigentlich alles falsch
So ziemlich alles, was Sie behaupten, ist entweder falsch oder zu unkonkret, um es überhaupt beurteilen zu können. Ja, Kälte setzt Elektroautos zu (ist aber bei Verbrennern nicht anders, Stichwort: Abgasreinigung), aber sie sind dennoch voll wintertauglich – ich empfehle Ihnen den Blick nach Norwegen, dort liegt der Anteil der reinelektrischen Fahrzeuge in den Neuzulassungen bei 60 %. Ja, die fördern kräftig, aber wenn Elektroautos so winteruntauglich wären, wie von Ihnen suggeriert, wären die Norweger ja schön blöd, sowas zu kaufen.
Ja, vielleicht taugt dieser eine Wagen wirklich nur als Zweitwagen und ist überteuert, wenn es tatsächlich der Nissan Leaf sein sollte, bin ich da sogar bei Ihnen. Der Mini Cooper SE, den ich gerade im Test hatte, ist ebenfalls so ein überteuerter Zweitwagen, da gibt es wirklich ein paar, das stimmt schon. Aber daraus das pauschale Fazit zu ziehen, den Menschen würde etwas „vorgegaukelt“ und Elektroautos hätten bis auf „lokale Emissionfreiheit, Geräusch und Drehmoment“ keinerlei Vorteile in der Nutzung, ist halt Quatsch. Es wäre ja auch bekloppt, wenn ich einen Daihatsu Cuore teste und danach schreibe, dass alle Verbrenner kleine Klapperkisten mit Rasenmähersound sind. Wenn jemand den Menschen bezüglich Elektroautos etwas vorgaukelt, ist das nicht die Autoindustrie oder die Politik, sondern die FAZ.
Long Story short
Folgende Fragen sind nach der Lektüre des Artikels bei mir offen geblieben:
- Welches Modell (+ Baujahr)?
- Welche Strecke?
- Wie viel kWh/ 100 km haben Sie verbraucht?
- Welche Ladestation (Ort, Anbieter, Stecker)?
- Welchen Ladestand hatte der Akku bei Beginn und Ende des Ladevorgangs?
Für eine Klärung danke ich Ihnen vorab. Ich bin mir sehr sicher, dass Ihr Fazit (Vorteile in der Nutzung seien bis auf lokale Emissionfreiheit, Geräusch und Drehmoment bislang nicht erkennbar) nach Stand der Technik nicht haltbar ist und sich bei der Beantwortung meiner Fragen ein anderer Fehler finden lässt. Ich denke, nicht nur „die Interessensvertretung der Autoindustrie (…) sollte auf seriösem Boden stehen“, sondern auch Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Mit freundlichen Grüßen
Robin Engelhardt
PS: Dieser offene Brief wurde auf LinkedIn und auf meinem Blog veröffentlicht.
Nachtrag: Dankenswerterweise hat Herr Appel geantwortet. Er möchte mir das Modell nicht nennen, da das nichts zur Sache tue.
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Ralf Lippold (Dienstag, 15 Dezember 2020 16:41)
Danke für das präzise Auseinandernehmen bzw. Hinterfragen, des wenig realitätsnahen Artikels. Die Antwort von Herrn Appel schlägt dem Fass dann auch noch den (ohnehin scheinbar nicht vorhandenen) Boden aus.
Wenn schon Mobilitätsexperte, dann hätte ich mehr Sachkunde und Transparenz erwartet.
Was ich mich jedoch frage ist, "Wie kann es sein, dass derartige Artikel von der Redaktionsleitung freigegeben werden?"
Team ElektroDocs (Dienstag, 15 Dezember 2020 17:12)
Interessanterweise verweigert Herr Appel die Information, um welches Modell es sich handelt. Muss er auch, sonst kämen noch mehr Zweifel an seinem tendenziösen Artikel auf. So kann man letztlich nur Unwissenheit oder Vorsatz unterstellen, im schlimmsten Falle beides.
Gerd Kebschull (Dienstag, 15 Dezember 2020 18:07)
Eigentlich müssten die Ressortleiter jetzt Amok laufen. FAZ schäm dich!
Daniel Przygoda (Dienstag, 15 Dezember 2020 22:08)
Schwacher Artikel von diesem Herrn Appel. Die fehlenden Fakten und keine Kooperationsbereitschaft deuten darauf hin, dass diesem Redakteur die Reife fehlt - beruflich aber anscheinend auch menschlich. Zudem frage ich mich, wie jemand, dem die Neugier fehlt, so einen Job hat. Autos mit Elektroantrieb sind nun wahrlich nicht neu, allerdings muss man sich mit dieser Technik auch befassen - oder noch besser: befassen wollen. Aber wer dazu nicht fähig ist, wird nur jammern können.
Robin, gut nachgehakt!
Wozu die Aufregung (Donnerstag, 17 Dezember 2020 12:35)
Vielen Dank für Ihren sehr informativen Beitrag, Herr Engelhardt. Ich fand diesen persönlich sehr hilfreich zur weiteren Einordnung der Sachverhalte. Dennoch finde ich es schade zu lesen, wie extrem einige der Kommentatoren hier reagieren (wofür Sie persönlich natürlich nichts können). Da wird davon geschrieben, dass die FAZ sich schämen solle und dem Autor die persönliche wie berufliche Reife aberkannt sowie möglicher Vorsatz (wozu?) unterstellt. Der Beitrag in der FAZ ist aber ein Kommentar (!) und ist daher nicht als objektive Information, sondern als eine persönliche (subjektive) Meinung zu verstehen. Das darf gerne jeder mal googlen. Dass es journalistische Kommentare gibt, ist nicht nur legitim, sondern sogar wichtig für den öffentlichen Diskurs. Ich bin mir sicher, dass auch schon ähnliche Kommentare in Zeitungen veröffentlicht wurden, die "Pro-BEV" waren.
In Norwegen wird übrigens gut 93 % des Stroms aus Wasserkraft gewonnen (wie Sie vermutlich wissen) und kostet deswegen quasi nichts. D.h. den Norwegern geht es vielleicht weniger darum, dass E-Autos toll für den Winter sind, sondern lediglich darum, dass deren Betrieb dort vielfach billiger als der eines Verbrenners ist.
Ich selbst kann die Argumente von Herrn Appel (ebenso wie Ihre) gut nachvollziehen. Auch wenn diese fachlich nicht einwandfrei sein mögen, zeigt er im Kern einige Probleme auf. Jeder Technologie hat halt ihre Vor- und Nachteile. Trotzdem werde ich bei meiner nächsten Anschaffung eines Autos ein BEV ernsthaft in Erwägung ziehen, da ich persönlich einige (der auch von ihm genannten) Vorteile sehr hoch bewerte.
Roland (Mittwoch, 23 Dezember 2020 01:50)
Das wichtigste wurde sogar noch vergesse zu erwähnen: die Berechnung von von Herrn Appel Zähler = Verlust Restreichweite geteilt durch Nenner = gefahrerne Kilometer zur Ermittlung des Mehrverbrauchs im Winter ist totaler Unsinn. 120km Reichweitenverlust / 40 km gefahren = 3-facher Verbrauch. Ich mach mal ein Beispiel aus der Verbrennerwelt um das zu veranschaulichen und zu zeigen, selbst ein Verbrennerfahrer sollte den Fehler erkennen. Szenario: nach Landstraßenfahrt mit 6l/100km und 48 Liter im Tank zeigt die Restreichweite 800km an. Am nächsten Morgen Kaltstart und Berufsverkehr in der Stadt, ergibt einen Verbrauch von 12l/100km. Nach 40km = 4,8 Liter Verbauch sind noch 43.2 Liter im Tank, daher Restreichweite beim derzeitigen Verbrauch = 360km, also Reichweitenschwund = 440km. Nach Logik von Herrn Appel ist der Mehrverbrauch dann 440km Reichweitenschwund / 40km gefahren = 11 facher Verbrauch !! Wenn ich das Beispiel mit nur 20km Fahrt mit 12l/100km mache: 45,6 liter im Tank, Restreichweite = 380km, Reichweitenverlust = 420km, Herr Appel Logik: 420km / 20 km = 21-facher Verbrauch !! Ich könnte jetzt auch den Zähler (Tankinhalt) varieren, jedesmal kommt ein anderer Wert heraus. Es ist erstaunlich, wie ein Auto-Fach-Journalist so einen Logikfehler machen kann, der ja unabhängig von BEV oder ICE ist.
Andreas V. (Montag, 28 Dezember 2020 23:33)
Warum vermutest Du LEAF, warum kein ID.3 ?
Dieter Schembera (Sonntag, 21 Februar 2021 18:16)
Paßt schon. Ich hatte vor ca. 1 Jahr einen ähnlichen Disput mit ihm. Da ging's um Abgaswerte Benziner vs Diesel. Da bezeichnte er den Diesel als den saubersten Motor der Welt und versuchte das mit abenteuerlichen 'Berechnungen' zu belegen, d.h. mit Äpfel/Birnen-Vergleichen und Logikfehlern.
Er hat von Autos keine und Ahnung und von Technik und Grundrechnungsarten auch nicht. Er wird
wahrscheinlich von der Autoindustrie (vornnehmlch der deutschen) gesponsored.
Sven (Donnerstag, 17 März 2022 15:25)
Lol
Ich kann mich fast allen hier nur anschließen. Ich habe noch nie einen brauchbaren Appel Artikel gelesen.
Andreas Termin - Encinitas, CA -USA (Samstag, 02 April 2022 17:32)
Letztendlich ist es so das Herr Appel kein Fan von Elektroautos sein möchte. Es ist aber nun so das dieser Zug abgefahren ist. Und Deutschland hinkt hoffentlich nicht wie so oft was Technik anbelangt hinterher. Das zeigt sich Knallhart in unserer Tiefgarage 40 Ladestationen alle umsonst und 90% Teslas. Da braut sich was zusammen für die deutsche Autoindustrie!!! Wo sind die BMW’s? Inzwischen gibt es Milliardenschwere Start-ups deren Limos 1000km weit fahren. Es werden Jeeps, PickUps und so weiter gebaut siehe Rivian aus Irvine, CA. Natürlich hab ich in Kalifornien den Vorteil das wir Sonne tanken mit den Solarzellen am Dach - unsere 2 Elektroautos fahren quasi fast umsonst. Und wie so oft kommen neue Trends aus Kalifornien ob Tesla, Google, Apple oder Surfing. And you are either „on the bus or off the bus“.
Maesis (Donnerstag, 05 Mai 2022 07:47)
Ich kome gerade von einem Artikel zu Mazdas 3.3 Liter Motor. Das ich danach denNamen von dem absolut wirrschreibenden Autor gegoogelt habe erklärt sich von selbst. - jetzt bin ich hier.
Der liebe Holgi hat nämlich keinerlei genaue Datenüber den Motor in seinen Artikel gepackt. Irgendwo steht in einem Nebensatz etwas über Euro 7, aber ansonnsten ist der gesamte Artikel auf Umweltschützer und Autoindustrie (im Bezug auf Elektroautos) bashing ausgelegt.
Wie sojemand die Technikabteilung einer großen Zeitung leitet ist für mich unverständlich.
Holgi, vieleicht soltest du einfach wider Banker sein.
Wangmingxing (Dienstag, 23 Januar 2024 13:40)
Hallo Herr Engelhardt
ihr Kommentar ist absolut realitätsnah. Mir ist Herr Appel mit elektrofeindlichen Kommentaren in der FAZ auch bereits mehrfach aufgefallen. Schade, dass hierzulande ein solch verzerrtes Bild der Elektromobilität dargestellt wird. Wir werden uns noch wundern, wie schnell die Welt an uns vorbeizieht. Ich habe die Hoffnung trotzdem noch nicht aufgegeben. Die OEMs wachen jetzt ja langsam auf bei uns.
Liebe Grüße