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Großer Akku, beste Verarbeitung, tolles Design und trotzdem kein Tesla-Killer

 

Wäre der Jaguar I-Pace mein erster Kontakt mit der Elektromobilität gewesen (und nicht das Tesla Model S), würde ich heute vielleicht immer noch einen Benziner fahren.

 

Aber erstmal der Reihe nach: Der Jaguar I-Pace wurde als großer „Tesla-Killer“ angepriesen. AMS nannte den Jaguar „einen echten Tesla-Model-X-Gegner“, Automobil Produktion titelte: „die erste echte Gefahr für Tesla“ und der ehemalige Jaguar Technikvorstand Wolfgang Ziebart sagte über den I-Pace: „Wir haben kein Auto gegen jemanden gemacht, sondern eines, das wir für richtig halten.“

 

 

Angesichts dieser fulminanten Ankündigungen könnte man denken, dass Tesla kein einziges Model S oder X mehr verkaufen würde und Jaguar bald der Elektro-König wird. Voller Erwartung bin ich vor ein paar Monaten in den I-Pace eingestiegen und sehr ernüchtert wieder ausgestiegen. Den Artikel dazu gibt es hier (https://www.eav-mobility.de/ipace), an den dort erwähnten Vor- und Nachteilen hat sich nichts geändert, deswegen will ich jetzt vor allem auf meine neuen Eindrücke eingehen, die ich auf meiner ersten längeren Fahrt mit dem Jaguar I-Pace sammeln konnte.

 

 

Dieses Wochenende bin ich mit einem I-Pace von Stuttgart nach München gefahren. Akkustand bei Abfahrt in meinem Kaff vor Stuttgart: 93%. Akkustand 60 Kilometer später, an der Raststätte Gruibingen: 66%. Ich habe also für 60 Kilometer 27% Akkuladung verbraucht – bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 108 km/h. Die Maximalgeschwindigkeit lag ganz kurz bei 150 km/h, verkehrsbedingt bin ich ein ordentliches Stück auch nur mit 80 km/h gefahren. Pro Akku-Prozent konnte ich 2,2 Kilometer fahren – beim Tesla Model X liegt dieser Wert bei ähnlicher Fahrweise auf jeden Fall über 3 Kilometern. Laut Bordcomputer lag der Stromverbrauch bei 34 kWh (Vergleich: Model X bei ähnlicher Fahrweise: 28 kWh/ 100 km) – verrechnet man das mit den verbrauchten 27%, hätte der Akku eine Nettokapazität von 79 kWh bzw. 87% der angegebenen Bruttokapazität. Andreas Hohn von Electrify-BW kommt bei seinem Tesla mit 100 kWh Akku auf 98%. Ich selbst hatte mal 90% - allerdings bei konstant 230 km/h, da sinkt die Nettokapazität durch die Hitze. Hitze als verzerrender Faktor kann ich beim I-Pace aber ausschließen: Die Temperatur pendelte um den Gefrierpunkt, ich bin nicht wirklich schnell gefahren und am Ionity-Schnelllader in Gruibingen hat er maximal 37 kW angenommen. Das ist ziemlich schlecht, ein Tesla Model X 100D nimmt bei 66% Akkustand noch 93 kW an. Ganz objektiv kann man solche Werte natürlich nur im Labor vergleichen, aber so krasse Unterschiede zeigen doch eine klare Tendenz.

 

Ich habe leider keine Infos darüber gefunden, ob der Jaguar keine Akkuheizung hat oder ob ich zu doof war, diese richtig zu bedienen. Jetzt könnte man fragen: Wo ist denn das Problem? Wenn man zuhause mit vollem Akku losfährt und man erst mit 10% die erste Ladestation anfährt (und nicht wie ich mit 66%) wird der Akku ja auch von alleine warm. Zur Not fährt man halt etwas schneller. Das Problem bei diesem Gedankengang ist leider, dass man mit dem Jaguar nicht immer mit 100% Akku losfahren kann. Wenn man abends mit 5% zuhause ankommt, braucht der Jaguar am ein-Phasen-Lader über 20 Stunden, bis er bei 100% ist (ein Tesla mit 17 kW Ladegerät und 100 kWh Akku etwa fünfeinhalb Stunden). Man kriegt den I-Pace also über Nacht in keinem Fall voll und müsste am nächsten Tag unter Umständen vor Beginn der eigentlichen Fahrt an einen DC-Lader. Das wäre zwar ärgerlich, aber gerade noch vertretbar – man könnte die Ladezeit ja mit einem kurzen Frühstück verbinden oder schonmal die Mails checken. Wenn es dann aber über Nacht kalt war, steht man definitiv zu lange am DC-Lader, das wird kein Kunde akzeptieren.

 

Im Sommer mag das alles anders aussehen, allerdings stellt sich dann wiederum die Frage, ob Jaguar eine vernünftige Kühlung eingebaut hat, sonst hat man wieder ein Temperaturproblem, nur eben diesmal mit Hitze statt Kälte. Das Ergebnis, eine zu niedrige Ladeleistung, wäre das Gleiche.

 

Am Schnelllader musste ich feststellen, dass der Jaguar das Laden beim Entriegeln des Fahrzeugs abbricht. Das ist eine ziemliche Fehlkonstruktion - ich bleibe ja nicht während des ganzen Ladevorgangs sitzen, sondern gehe gerade auf langen Strecken ja auch mal zur Fastfood-Kette meines Vertrauens, renne ein paar Runden oder suche eine Sanitäreinrichtung auf, da schließt man das Auto logischerweise ab. Nach einer Viertelstunde kommt man dann zurück zum Fahrzeug und möchte natürlich im warmen Auto warten, bis der Ladevorgang fertig ist, muss also wieder aufschließen. Dabei wird dann allerdings der Ladevorgang abgebrochen. Ich hatte zum Glück eine Ladekarte dabei, die nach Minutenpreis abrechnet. Wer adhoc per Smartphone lädt und Pauschalpreise zahlt, ist da ziemlich gekniffen.

 

 

Nachdem der Akku nach 31 Minuten von 66 auf 83 % geklettert war, bin ich weitergefahren. Spotify gabs zwar nicht (möglicherweise mit Jaguar InControl, hatte mein Wagen aber nicht), aber immerhin hat mir TuneIn die Fahrzeit etwas verkürzt, weil ich darüber den Electrify-BW Podcast anhören konnte.

 

Das restliche Bedienkonzept ist leider nicht wirklich intuitiv. Warum sieht man Stromverbrauch und Akkustand in zwei verschiedenen Untermenüs? Die Reichweitenanzeige in Kilometern im Tachodisplay ist kein bisschen hilfreich. Warum sehe ich den Akkustand nicht im Head-Up Display? Das wird überhaupt viel zu wenig genutzt, da wird ordentlich Potential verschenkt, sehr schade. Die Touchtastatur macht beim Eintippen Klick-Geräusche. Machen viele Smartphones auch, da kann ich den Ton aber abschalten. Beim I-Pace habe ich die passende Einstellung nicht gefunden - Nach dem Eintippen von „Robert-Bosch-Straße Jettingen-Scheppach“ bluten einem die Ohren. Wenn man im Navi Straße und einen Ort eintippt, schlägt es mir trotzdem erst Ziele vor, bei denen zwar die Straße passt, aber der Ort nicht, weil diese näher an meiner Position als das gesucht Ziel sind. Was soll das?

 

Vielleicht kann man diese nervigen Einstellungen auch irgendwo ändern – während zweieinhalb Stunden Fahrt und einer Stunde Ladezeit habe ich das allerdings nicht geschafft.

 

 

Ich war vielmehr damit beschäftigt, mit dem Spurhalteassistenten zu kämpfen: Den schaltet man ein, indem man am Lenkrad einen entsprechenden Knopf drückt. Er hält die Spur nicht aktiv, sondern korrigiert nur, wenn man die Spur verlässt. Dann lenkt er gegen und man driftet zum anderen Ende der Spur und fährt ein leichtes Slalom. Gott sei Dank war keine Polizeistreife in der Nähe – die hätte mich sofort zur Alkoholkontrolle rausgezogen.

 

Die Korrektur erfolgt nur bei sehr sehr flachen Winkeln. Wenn man irgendwann in einem zu spitzen Winkel aus der Spur kommt, lenkt er nicht mehr gegen – obwohl er aktiviert ist. Wer sich auf dieses System verlässt, kann schnell Bekanntschaft mit der Leitplanke machen.

 

Es ist nur schwer ersichtlich, ob der Spurhalteassistent an oder aus ist. Es ertönt (im Gegensatz zu Teslas Autopilot) kein Hinweiston, das erkennt man nur an einem ganz kleinen Symbol. Dieses zeigt auch an, ob er eine Fahrbahnmarkierung erkannt hat oder nicht. Problem: Weil das Lenkrad heillos überfrachtet ist, drückt man schnell mal den falschen Knopf und aktiviert den Spurhalteassistenten ungewollt und ohne es zu merken, obwohl man eigentlich nur den Tempomat oder die Lenkradheizung bedienen wollte. Auf normalen Strecken merkt man gar nichts, in einer Baustelle wurde die Spur dann aber mit gelben Linien auf die Gegenfahrbahn verschwenkt – der Spurhalteassistent orientierte sich an den weißen Linien und wollte mich dahin zurückbringen. Das war eine ziemlich brenzlige Situation.

 

Ähnliches hatte ich ein paar Kilometer später, als ich 180 km/h gefahren bin: Ich bin in einer Kurve an den Rand meiner Spur gekommen. Das habe ich natürlich gemerkt und wollte vorsichtig zurücklenken, dazu kam ich aber nicht, weil der Assistent so energisch eingriff, dass er mich fast aus der Spur geworfen hat. Dieses System ist einfach nur saugefährlich, bei Eis oder dichtem Verkehr können seine Eingriffe tödlich enden. In meinen Augen sogar gefährlicher als Teslas Autopilot – denn bei dem weiß man klar, wann er aktiv ist oder nicht und der wirft einen nicht bei 180 km/h aus der Kurve.

 

Beim Beschleunigen habe ich ein sehr merkwürdiges Geräusch gehört, dass mich an die defekten Antriebswellen erinnert hat, die wir mal im Tesla hatten. Ich habe dann aber erfahren, dass das Geräusch wohl ein Soundgenerator ist. Man kann über Sinn und Unsinn dieser Geräte streiten, aber wenn sie sich so anhören, als ob etwas kaputt ist, ist das nicht so toll.

 

In Jettingen-Scheppach wollte ich noch an den neuen 450 bzw. 175kW-Ladesäulen von Allego laden. Da war kurz zuvor noch ein Pressetermin, also war ich davon ausgegangen, dass sie funktionieren und hoffte, dass der Akku nach meiner schnellen Fahrt auch warm genug sein würde, um schnell zu laden. Leider waren die Säulen defekt und die angegebene Hotline hatte keinen Zugriff darauf. Nach einer Viertelstunde in der Kälte Telefonieren habe ich eben am Triple Charger geladen. Als Notnagel sind die ok, aber für Reisen mit Terminen absolute untauglich.

 

 

Zufrieden bin ich mit der Verarbeitungsqualität, dem sportlichen Fahrwerk und dem Soundsystem (die Musiklautsprecher, nicht der Verbrenner-Soundgenerator) – aber das alleine rechtfertigt den Kaufpreis nicht. Außerdem ist der Sitzkomfort hinten sehr angenehmen, davon könnte sich Tesla eine Scheibe abschneiden.

 

 

Ich bin heil angekommen und trotz der Querelen mit dem Laden hat das Fahren an sich Spaß gemacht. Trotzdem ist der Jaguar leider vollkommen uninteressant für uns.

 

 

Nach diesem Test sehe ich für das Fahrzeug nur eine sehr kleine Zielgruppe:

 

Alle Geschäftsleute mit Termindruck fallen raus. Wenn man sich bei Kälte nicht sicher sein kann, ob man eine oder drei Stunden an der Ladestation stehen muss, wird jede Terminplanung ein Witz. Abends leer zuhause ankommen und morgens vollgeladen losfahren ist mit dem I-Pace unmöglich, ebenso das Destination Charging beim Kunden (Einen Tesla kriegt man mit Drehstrom, den es in vielen Firmen gibt, in 5,5 h voll. Mit dem Jaguar kann man das vergessen).

 

Genau das wäre aber die Zielgruppe, die sich solche Fahrzeuge leisten kann.

 

 

Für gutbetuchte Pendler ist der Jaguar nur interessant, wenn sie am Arbeitsplatz und zu Hause laden können, damit der Akku am ein-Phasen-Lader wieder voll wird.

 

 

Taxifahrer und Autovermietungen können den Jaguar nur nutzen, wenn sie eine DC-Ladestation anschaffen oder Ersatzfahrzeuge für die Zeit vorhalten, in der sich der I-Pace am ein-Phasen-Lader die Räder platt steht. Beide Maßnahmen sind unattraktiv, weil sie bei Autovermietungen den Gewinn auffressen und bei Taxifahrern die Einsparungen, die sie im Vergleich zum Diesel hätten.

 

 

Als Zweitfahrzeug für die Stadt würde die Ladeleistung ausreichen – allerdings ist er dafür Akku- und Karosserieseitig überdimensioniert und zu teuer, da ist man mit einer Zoe billiger und besser unterwegs.

 

 

Ich sehe den I-Pace vor allem als Spaßmobil für gutbetuchte, die für lange Strecken sowieso ihre S-Klasse nehmen und am Wochenende ein bisschen Spaß im Elektroauto haben wollen. Denen ist der hohe Verbrauch und die lange Ladezeit egal und der Kaufpreis ist da nebensächlich. Ein Tesla-Killer ist man so aber nicht – das wird vermutlich eher der Audi e-tron werden. Der lädt AC mit 22 und DC mit 150 kW, ist also sogar besser als die Kalifornier.

Zusammen mit Porsche werden Audi und Tesla in nächster Zeit die relevanten Player in der elektrischen Oberklasse sein. Jaguar spielt da mit dem I-Pace nicht mit.

 

 

 

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